WESTERWELLE-Interview für die ?WELT am Sonntag?

Berlin –

WESTERWELLE-Interview für die ?WELT am Sonntag?

Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der ?WELT am Sonntag? das folgende Interview. Die Fragen stellten THORSTEN JUNGHOLT und ALAN POSENER:

Frage: Herr Westerwelle, wie haben Sie den 4. Mai gefeiert?

WESTERWELLE: Was war da?

Frage: Ihr achtjähriges Jubiläum als FDP-Vorsitzender. Von ihren elf Vorgängern war nur Hans-Dietrich Genscher länger im Amt.

WESTERWELLE: Das habe ich offen gestanden völlig verschwitzt. Mich bewegt eher die Zukunft: Auf unserem Parteitag nächstes Wochenende trete ich erneut für zwei Jahre an – und zwar mit dem Ziel, die FDP in die nächste Regierung zu führen. Denn wir stehen vor einer schicksalhaften Bundestagswahl.

Frage: Schicksalhaft für Sie? Bislang haben Sie Ihre Partei nicht aus der Opposition führen können…

WESTERWELLE: Um mich muss sich niemand sorgen – wenn die Wähler anders entscheiden, als wir es uns wünschen, arbeite ich auch in der Opposition weiter für eine bessere Politik. Dieses Land aber erlebt im September eine Weichenstellung für die nächsten zwölf Jahre. Die Deutschen sind vor die Entscheidung gestellt: Gibt es noch eine strukturelle Mehrheit für eine bürgerliche Regierung oder geht der Linksrutsch weiter? Es geht um die Frage, ob die Mehrheit in Deutschland noch hinter unserer Grund- und Werteordnung einschließlich sozialer Marktwirtschaft steht. Der fehlende Kompass der sogenannten großen Koalition hat bereits dafür gesorgt, dass die geistig-politische Achse dieser Republik gefährlich ins Pendeln gekommen ist. Bei der Bundestagswahl entscheidet sich, ob sie endgültig aus der Mitte nach links verrutscht.

Frage: Woran machen Sie diese Achsverschiebung fest?

WESTERWELLE: Nehmen Sie die Krawalle rund um den 1. Mai in Berlin. Was da stattgefunden hat, ist nicht nur ein Erdbeben gegen den Anstand in der Hauptstadt gewesen. Sondern eines gegen den Rechtsstaat in Deutschland. 479 Polizisten wurden verletzt, und manche von ihnen sagen: Wir sind von den Politikern wie Hampelmänner verheizt worden. Wenn der normale Bürger mit seinem Auto für fünf Minuten falsch parkt, hat er sofort ein Ticket. Aber wenn kriminelles Pack ein paar Ecken weiter Autos anzündet, dann entscheidet sich der Innensenator der rot-roten Regierung für eine Höflichkeitsstrategie, nach dem Motto: Man darf diese armen, erregten Männer nicht noch mehr reizen. Statt diese Kriminellen festzunehmen, werden Wasserwerfer abgezogen. Das legt die Axt an die Wurzel des Rechtsstaates.

Frage: Ein Liberaler als Law-and-Order-Mann?

WESTERWELLE: Nein, es geht um Law and Liberty. Ich bin fassungslos, an was wir uns gewöhnen. Da erzählen uns Pappnasen von Links, diese kriminellen Steinewerfer seien Teil einer sozialen Aufstandsbewegung. Unsinn! Für mich ist das Appeasement gegenüber den Feinden einer zivilisierten Demokratie der Mitte. Das alarmiert uns als Bürgerrechtspartei. Das meine ich mit der geistigen Achse der Republik, die sich verschiebt. Und das findet nicht nur im rot-roten Berlin statt. Auch ein Bundesminister ist gerade dabei, über Jahrzehnte gepflegtes Inventar unseres Staates zu zerschlagen.

Frage: Sie meinen Peer Steinbrück?

WESTERWELLE: Das hat es noch nie gegeben, dass ein Finanzminister befreundeten Ländern mit Kavallerie und Peitsche droht – nur um im Wahlkampf ein paar Pünktchen zu machen. In früheren Zeiten wäre er sofort entlassen worden. Stattdessen sitzt die Kanzlerin still neben ihm auf der Regierungsbank und sieht zu, wie Herr Steinbrück das Bild des hässlichen Deutschen in der ganzen Welt verbreitet. Was setzen wir da eigentlich aufs Spiel? Dieser Regierung ist der Kompass der bürgerlichen Mitte verloren gegangen, nicht nur in der Wirtschaftspolitik mit Enteignung und Abwrackprämien.

Frage: Im Angesicht der Wirtschaftskrise plädieren Sie unerschütterlich für Steuersenkungen als allein selig machendes Gegenmittel. Ist das nicht auch ein bisschen dürftig?

WESTERWELLE: Nein. Es ist eine der beunruhigendsten Entwicklungen der letzten zehn Jahre, dass die Mittelschicht in Deutschland immer mehr ausdünnt. Vor zehn Jahren galten noch Zweidrittel der Bevölkerung als Mitte, heute ist es noch etwas mehr als die Hälfte. Das heißt, mehr als fünf Millionen Menschen sind in die armutsgefährdete Schicht abgerutscht. Die Gesellschaft fliegt aber auseinander, wenn die Mittelschicht als das Bindeglied zu schwach wird, weil sie immer mehr ausgepresst wird. Das vertieft die Spaltung zwischen Arm und Reich. Deshalb muss es endlich eine Steuerreform geben, die den Menschen mehr Netto vom Brutto lässt. Und wer arbeitet, muss mehr haben als der, der nicht arbeitet. Das sagt keiner mehr – außer uns.

Frage: Dafür wird man Ihnen im Wahlkampf soziale Kälte unterstellen.

WESTERWELLE: Ist es wirklich sozial, den Menschen zu versprechen: Ihr könnt Euch einrichten im Sozialstaat, wir sorgen für ordentliche Steigerungsraten bei Hartz IV? Es gibt mittlerweile Viertel in deutschen Großstädten, in denen Familien in dritter Generation vom Sozialstaat leben. Wo Kinder es gar nicht mehr kennen, dass ihre Eltern morgens aufstehen, ihnen Frühstück machen und dann zur Arbeit gehen. Damit kann man sich abfinden, indem man mit immer mehr Steuergeldern für Ruhe sorgt. Ich finde es sozialer zu sagen: Wir helfen Euch, dass ihr da wieder rauskommt und bauen Euch Brücken ins Berufsleben.

Frage: Trauen Sie sich zu, Frau Merkel wieder in die richtige Spur zu führen?

WESTERWELLE: Ja, sonst würde ich nicht mit ihr regieren wollen. Nach vielen Einladungen vom Wirtschaftsrat der CDU bis zur Jungen Union weiß ich, dass die Basis der Union in weiten Teilen dasselbe fühlt wie ich. In den fünf schwarz-gelb regierten Bundesländern sieht man doch auch: Es geht besser.

Frage: Wird es auf dem Parteitag also eine Koalitionsaussage zugunsten der Union geben?

WESTERWELLE: Bevor ich mich zur Wahl stelle, werde ich glasklar sagen, dass wir Schwarz-Gelb wollen. Allerdings warte ich bis heute auf eine vergleichbar belastbare Aussage der Union. Diese gegenseitige Verlässlichkeit ist mir wichtig.

Frage: Aha, die Hintertür für eine Ampel mit Grünen und SPD!

WESTERWELLE: Nein, es ist doch die Union, die sich bisher die Hintertür zur großen Koalition offen hält. Ich sage ganz klar: Das Programm von SPD und Grünen unterscheidet sich von einigen sprachästhetischen Unterschieden abgesehen nur noch in zwei Punkten von dem der Linken: Auslandseinsätze und Lafontaine. Sonst sind sie praktisch inhaltsgleich. Deshalb wird es keine Ampel geben. Wenn es keine bürgerliche Mehrheit gibt, bekommen wir ein Linksbündnis – vielleicht mit der Schamfrist von einem weiteren Jahr großer Koalition.

Frage: Ihre Bedingung für einen Koalitionsvertrag ist eine Steuerstrukturreform. Nun sagt beinahe die komplette Phalanx der Unions-Ministerpräsidenten: Dafür ist kein Geld da.

WESTERWELLE: Das zeigt nur, dass die FDP die letzte Partei ist, die an der sozialen Marktwirtschaft als ihrem inneren Kompass festhält. Faire Steuern gesunden die Staatsfinanzen. Wir sind das bürgerliche Gewissen dieses Landes, der Anwalt der Mittelschicht. Deshalb geht es auch nicht nur um Schwarz-Gelb. Es geht darum, als Liberale stark genug zu werden, um die politische Achse der Republik wieder in Richtung Mitte gerade zu rücken.

URL: www.liberale.de

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WESTERWELLE-Interview für die ?WELT am Sonntag?

Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der ?WELT am Sonntag? das folgende Interview. Die Fragen stellten THORSTEN JUNGHOLT und ALAN POSENER:

Frage: Herr Westerwelle, wie haben Sie den 4. Mai gefeiert?

WESTERWELLE: Was war da?

Frage: Ihr achtjähriges Jubiläum als FDP-Vorsitzender. Von ihren elf Vorgängern war nur Hans-Dietrich Genscher länger im Amt.

WESTERWELLE: Das habe ich offen gestanden völlig verschwitzt. Mich bewegt eher die Zukunft: Auf unserem Parteitag nächstes Wochenende trete ich erneut für zwei Jahre an – und zwar mit dem Ziel, die FDP in die nächste Regierung zu führen. Denn wir stehen vor einer schicksalhaften Bundestagswahl.

Frage: Schicksalhaft für Sie? Bislang haben Sie Ihre Partei nicht aus der Opposition führen können…

WESTERWELLE: Um mich muss sich niemand sorgen – wenn die Wähler anders entscheiden, als wir es uns wünschen, arbeite ich auch in der Opposition weiter für eine bessere Politik. Dieses Land aber erlebt im September eine Weichenstellung für die nächsten zwölf Jahre. Die Deutschen sind vor die Entscheidung gestellt: Gibt es noch eine strukturelle Mehrheit für eine bürgerliche Regierung oder geht der Linksrutsch weiter? Es geht um die Frage, ob die Mehrheit in Deutschland noch hinter unserer Grund- und Werteordnung einschließlich sozialer Marktwirtschaft steht. Der fehlende Kompass der sogenannten großen Koalition hat bereits dafür gesorgt, dass die geistig-politische Achse dieser Republik gefährlich ins Pendeln gekommen ist. Bei der Bundestagswahl entscheidet sich, ob sie endgültig aus der Mitte nach links verrutscht.

Frage: Woran machen Sie diese Achsverschiebung fest?

WESTERWELLE: Nehmen Sie die Krawalle rund um den 1. Mai in Berlin. Was da stattgefunden hat, ist nicht nur ein Erdbeben gegen den Anstand in der Hauptstadt gewesen. Sondern eines gegen den Rechtsstaat in Deutschland. 479 Polizisten wurden verletzt, und manche von ihnen sagen: Wir sind von den Politikern wie Hampelmänner verheizt worden. Wenn der normale Bürger mit seinem Auto für fünf Minuten falsch parkt, hat er sofort ein Ticket. Aber wenn kriminelles Pack ein paar Ecken weiter Autos anzündet, dann entscheidet sich der Innensenator der rot-roten Regierung für eine Höflichkeitsstrategie, nach dem Motto: Man darf diese armen, erregten Männer nicht noch mehr reizen. Statt diese Kriminellen festzunehmen, werden Wasserwerfer abgezogen. Das legt die Axt an die Wurzel des Rechtsstaates.

Frage: Ein Liberaler als Law-and-Order-Mann?

WESTERWELLE: Nein, es geht um Law and Liberty. Ich bin fassungslos, an was wir uns gewöhnen. Da erzählen uns Pappnasen von Links, diese kriminellen Steinewerfer seien Teil einer sozialen Aufstandsbewegung. Unsinn! Für mich ist das Appeasement gegenüber den Feinden einer zivilisierten Demokratie der Mitte. Das alarmiert uns als Bürgerrechtspartei. Das meine ich mit der geistigen Achse der Republik, die sich verschiebt. Und das findet nicht nur im rot-roten Berlin statt. Auch ein Bundesminister ist gerade dabei, über Jahrzehnte gepflegtes Inventar unseres Staates zu zerschlagen.

Frage: Sie meinen Peer Steinbrück?

WESTERWELLE: Das hat es noch nie gegeben, dass ein Finanzminister befreundeten Ländern mit Kavallerie und Peitsche droht – nur um im Wahlkampf ein paar Pünktchen zu machen. In früheren Zeiten wäre er sofort entlassen worden. Stattdessen sitzt die Kanzlerin still neben ihm auf der Regierungsbank und sieht zu, wie Herr Steinbrück das Bild des hässlichen Deutschen in der ganzen Welt verbreitet. Was setzen wir da eigentlich aufs Spiel? Dieser Regierung ist der Kompass der bürgerlichen Mitte verloren gegangen, nicht nur in der Wirtschaftspolitik mit Enteignung und Abwrackprämien.

Frage: Im Angesicht der Wirtschaftskrise plädieren Sie unerschütterlich für Steuersenkungen als allein selig machendes Gegenmittel. Ist das nicht auch ein bisschen dürftig?

WESTERWELLE: Nein. Es ist eine der beunruhigendsten Entwicklungen der letzten zehn Jahre, dass die Mittelschicht in Deutschland immer mehr ausdünnt. Vor zehn Jahren galten noch Zweidrittel der Bevölkerung als Mitte, heute ist es noch etwas mehr als die Hälfte. Das heißt, mehr als fünf Millionen Menschen sind in die armutsgefährdete Schicht abgerutscht. Die Gesellschaft fliegt aber auseinander, wenn die Mittelschicht als das Bindeglied zu schwach wird, weil sie immer mehr ausgepresst wird. Das vertieft die Spaltung zwischen Arm und Reich. Deshalb muss es endlich eine Steuerreform geben, die den Menschen mehr Netto vom Brutto lässt. Und wer arbeitet, muss mehr haben als der, der nicht arbeitet. Das sagt keiner mehr – außer uns.

Frage: Dafür wird man Ihnen im Wahlkampf soziale Kälte unterstellen.

WESTERWELLE: Ist es wirklich sozial, den Menschen zu versprechen: Ihr könnt Euch einrichten im Sozialstaat, wir sorgen für ordentliche Steigerungsraten bei Hartz IV? Es gibt mittlerweile Viertel in deutschen Großstädten, in denen Familien in dritter Generation vom Sozialstaat leben. Wo Kinder es gar nicht mehr kennen, dass ihre Eltern morgens aufstehen, ihnen Frühstück machen und dann zur Arbeit gehen. Damit kann man sich abfinden, indem man mit immer mehr Steuergeldern für Ruhe sorgt. Ich finde es sozialer zu sagen: Wir helfen Euch, dass ihr da wieder rauskommt und bauen Euch Brücken ins Berufsleben.

Frage: Trauen Sie sich zu, Frau Merkel wieder in die richtige Spur zu führen?

WESTERWELLE: Ja, sonst würde ich nicht mit ihr regieren wollen. Nach vielen Einladungen vom Wirtschaftsrat der CDU bis zur Jungen Union weiß ich, dass die Basis der Union in weiten Teilen dasselbe fühlt wie ich. In den fünf schwarz-gelb regierten Bundesländern sieht man doch auch: Es geht besser.

Frage: Wird es auf dem Parteitag also eine Koalitionsaussage zugunsten der Union geben?

WESTERWELLE: Bevor ich mich zur Wahl stelle, werde ich glasklar sagen, dass wir Schwarz-Gelb wollen. Allerdings warte ich bis heute auf eine vergleichbar belastbare Aussage der Union. Diese gegenseitige Verlässlichkeit ist mir wichtig.

Frage: Aha, die Hintertür für eine Ampel mit Grünen und SPD!

WESTERWELLE: Nein, es ist doch die Union, die sich bisher die Hintertür zur großen Koalition offen hält. Ich sage ganz klar: Das Programm von SPD und Grünen unterscheidet sich von einigen sprachästhetischen Unterschieden abgesehen nur noch in zwei Punkten von dem der Linken: Auslandseinsätze und Lafontaine. Sonst sind sie praktisch inhaltsgleich. Deshalb wird es keine Ampel geben. Wenn es keine bürgerliche Mehrheit gibt, bekommen wir ein Linksbündnis – vielleicht mit der Schamfrist von einem weiteren Jahr großer Koalition.

Frage: Ihre Bedingung für einen Koalitionsvertrag ist eine Steuerstrukturreform. Nun sagt beinahe die komplette Phalanx der Unions-Ministerpräsidenten: Dafür ist kein Geld da.

WESTERWELLE: Das zeigt nur, dass die FDP die letzte Partei ist, die an der sozialen Marktwirtschaft als ihrem inneren Kompass festhält. Faire Steuern gesunden die Staatsfinanzen. Wir sind das bürgerliche Gewissen dieses Landes, der Anwalt der Mittelschicht. Deshalb geht es auch nicht nur um Schwarz-Gelb. Es geht darum, als Liberale stark genug zu werden, um die politische Achse der Republik wieder in Richtung Mitte gerade zu rücken.

URL: www.liberale.de