SILVANA KOCH-MEHRIN und GESINE SCHWAN im Doppelinterview für die ?Bunte?
SILVANA KOCH-MEHRIN und GESINE SCHWAN im Doppelinterview für die ?Bunte?
Brüssel/Berlin. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE), Vorsitzende der FDP im Europaparlament und Spitzenkandidatin zur Europawahl, DR. SILVANA KOCH-MEHRIN, und die Präsidentschaftskandidatin der SPD, PROF. DR. GESINE SCHWAN, gaben der ?Bunten? (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte KERSTIN JÄCKEL:
Frage: Wir sitzen zu Fuße eines breitbeinigen Kaiser Wilhelm II. Kommt Ihnen so eine Machtpose bekannt vor?
SCHWAN: Ich glaube nicht, dass ein Mann heute noch so posieren würde, aber es gibt natürlich typisch männliche Körperhaltungen: breitbeinig, Brust raus, Hände in den Hosentaschen. Bei dieser Gockelpose habe ich allerdings eher den Eindruck, dass keine wirkliche innere Stärke dahinter steckt.
KOCH-MEHRIN: Tatsächlich gibt es Posen, die eher von Männern eingenommen werden ? ob im Stehen oder Sitzen. Die politischen Machtsymbole der Kaiserzeit gibt es heute zwar nicht mehr, aber eine schwere Uhr oder ein großes Auto gelten in der Männerwelt immer noch als Zeichen für: ?Ich bin der große Macher?.
SCHWAN: Männern liegt der Ausdruck ihrer Macht generell näher als Frauen. Bei ihnen spielen Machtinsignien keine Rolle.
KOCH-MEHRIN: Eine kleinere! Frauen achten untereinander nicht unbedingt darauf, wer das größere Auto oder schickere Telefon hat, aber ich glaube schon, dass sich Frauen auch in den ersten Minuten ?abchecken?. Darauf achten, ob sie möglicherweise auf eine Rivalin stoßen.
Frage: Haben Frauen die bessere Menschenkenntnis?
KOCH-MEHRIN: Das sollte man nicht verallgemeinern, das kommt auf die jeweilige Persönlichkeit an. Es gibt auch feinfühlige, sensible Männer ? und solche, die überhaupt keine soziale Kompetenz haben. Und genauso ist es bei Frauen.
SCHWAN: Das stimmt. Aber es gibt mehr Frauen mit sozialer Kompetenz als Männer.
KOCH-MEHRIN: Es ist eine Frage der Erziehung.
SCHWAN: Natürlich. Und Frauen werden mehr darauf erzogen, zwischenmenschliche Signale richtig zu deuten und mögliche Konflikte auszuräumen.
KOCH-MEHRIN: Das war sicher in der traditionellen Rollenaufteilung so, bei der die Frau für Kinder, das Heim und das Sozialleben verantwortlich war, aber darüber sind wir ja zum Glück hinaus. Als nächster Schritt sollte, auch gesellschaftlich, stärker akzeptiert werden, wenn Männer mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen und dafür auf einen Karriereschritt verzichten wollen. Männer sind immer noch gehemmt, so etwas zuzugeben. Da ist die Gleichberechtigung noch nicht erreicht.
SCHWAN: Ich hoffe, dass die jüngere Generation auf dem richtigen Weg ist. Mein großes Ziel wäre es, dass diese neuen Rollen- und Familienmuster auch in der Arbeitswelt berücksichtigt werden. Schön wäre es, wenn Männer und Frauen sich zuerst der Familie widmen könnten ? um dann später so richtig loszulegen.
KOCH-MEHRIN: Aber zunächst muss gesellschaftlich akzeptiert sein, wenn beide Elternteile berufstätig sind ? ob aus persönlicher Motivation oder aus finanziellen Gründen. Damit diesen Paaren nicht kollektiv auch noch ein schlechtes Gewissen eingeredet wird.
Frage: Wie ist das bei Ihnen privat?
KOCH-MEHRIN: Mein Mann James und ich kommen beide aus Familien, in denen es selbstverständlich war, dass alle zu Hause mithelfen. Daher war für uns Familie von Anfang an ein gemeinsames Projekt. Es ist auch gar nicht anders möglich. Interessant ist aber, dass ich immer wieder gefragt werde, wie ich Familie und drei Kinder unter einen Hut bekomme. James stellt man diese Frage nie.
SCHWAN: Ich war in dieser Hinsicht auch sehr verwöhnt. Mein erster Mann Alexander hat immer gewollt, dass auch ich berufstätig bin, obwohl das in seiner Generation, er war ja zwölf Jahre älter als ich, nicht selbstverständlich war. Er hat Frühstück für uns und die Kinder gemacht und Aufgaben übernommen, die ich ihm aufgetragen habe. So gesehen: Ich war verantwortlich und er hat geholfen.
Frage: Frau Koch-Mehrin, Sie haben das erste Mal für das Europaparlament kandidiert, als die FDP dort nicht vertreten war. Sie, Frau Schwan, haben für das Amt des Bundespräsidenten kandidiert, als numerisch keine Mehrheit für sie in Sicht war. Werden Frauen immer dann ins Rennen geschickt, wenn die Gefahr des Scheiterns besteht?
KOCH-MEHRIN: Meine Kandidatur 2004 war ein klares Signal dafür, dass wir als FDP keine ausgedienten Bundespolitiker nach Europa entsorgen. Ich war mit meiner Beratungsfirma in Brüssel schon aktiv und hatte die nötigen Fachkenntnisse. Das war für mich der ausschlaggebende Punkt, es als Europaabgeordnete zu versuchen.
SCHWAN: Ich denke schon, dass Frauen eher bereit sind, in aussichtlosen oder zumindest schwierigen Situationen zu kandidieren, das Risiko des Scheiterns einzugehen. Vielleicht weil sie mit Scheitern anders umgehen und sich nicht hauptsächlich durch ihren Erfolg definieren.
KOCH-MEHRIN: Das glaube ich nicht. Die wenigen Frauen, die es bisher in Führungspositionen geschafft haben, definieren sich genauso stark über den Beruf ? und erleben Scheitern demnach genauso brutal. Aber Kandidatinnen für das Amt des Bundespräsidenten gab es doch immer wieder. Zum ersten Mal 1979 mit Annemarie Renger.
SCHWAN: Aber tatsächlich waren das immer Kandidaturen, wo es quasi aussichtslos war, wie auch bei meiner Kandidatur 2004. So gesehen ist meine jetzige Kandidatur die erste Kandidatur einer Frau für das Amt des Bundespräsidenten, die erfolgreich sein kann. Es hat ja noch nie eine Bundespräsidenten-Wahl gegeben, bei der die abgegebenen Stimmen mit der Fraktionsstärke des Kandidaten identisch waren, es gab immer abweichende Voten. Schließlich ist es eine geheime Wahl, und die ist diesmal denkbar knapp.
KOCH-MEHRIN: Das sehe ich anders. Von der FDP werden Sie jedenfalls keine einzige Stimme bekommen. Sie setzen ja auch auf Rot-Rot-Grün, also die Stimmen von SPD, Grünen und der Linkspartei.
SCHWAN: Das stimmt nicht. Ich habe immer deutlich gemacht, dass ich meine Kandidatur als eine überparteiliche verstehe.
KOCH-MEHRIN: Aber Sie wollen doch von einem bestimmten Lager gewählt werden.
Frage: Sehen Sie die Gegenkandidatur von Frau Schwan grundsätzlich kritisch?
KOCH-MEHRIN: Ja. Es wäre eine andere Situation, wenn jemand seine Amtszeit beenden und die Bundesversammlung einen neuen Präsidenten wählen würde ? so wie vor fünf Jahren. Aber jetzt haben wir einen im In- und Ausland hoch angesehenen, in der Bevölkerung sehr beliebten und über Parteigrenzen hinweg anerkannten Bundespräsidenten, der eine zweite Amtszeit anstrebt. Und ich halte es nicht für notwendig und auch nicht für gut, den amtierenden Bundespräsidenten mit einer parteipolitischen Gegenkandidatur anzugreifen.
SCHWAN: Ich finde es höchst interessant, dass Sie eine Kandidatur in einer demokratischen Wahl als Angriff, fast als Majestätsbeleidigung bezeichnen. Ein Bundespräsident hat immer hohe Zustimmungsraten, er ist immer beliebt, das sagt also erst mal nicht viel aus.
Frage: Was wäre die Alternative zur Kandidatur von Frau Schwan gewesen?
KOCH-MEHRIN: Horst Köhler ist als Bundespräsident erfolgreich, deshalb wäre es sinnvoll, wenn auch die SPD ihn als Bundespräsident aller Deutschen unterstützt.
SCHWAN: Warum soll eine große Partei wie die SPD bei einer bevorstehenden Wahl nicht eine Alternative anbieten? Vor allem wenn sie überzeugendes Personal dafür hat?
Frage: Befürchten Sie einen bundespolitischen Effekt?
SCHWAN: Nein, wieso?
KOCH-MEHRIN: Weil Sie mit Ihrer Kandidatur zeigen, wie sehr die SPD auf ein rot-rot-grünes Bündnis setzt. Etwas, das die SPD auf Bundesebene bislang immer abgelehnt hat. Somit geht von der Bundespräsidentenwahl auch das Signal aus, ob die SPD in der Frage nach möglichen Koalitionspartnern glaubwürdig ist. Das sollte man nicht vergessen.
SCHWAN: Das kann man auch nicht vergessen, weil es von Union und FDP ja pausenlos vorgetragen wird. Aber ich wehre mich dagegen, die Bundespräsidentenwahl und die Bundestagswahl in einen Zusammenhang zu stellen. Das Amt des Bundespräsidenten hat einen eigenen Wert ? und auch die Wahl für dieses Amt sollte als eigenständiger Vorgang betrachtet werden ? nicht als parteitaktisches Instrument für die nächste Bundestagswahl.
KOCH-MEHRIN: Ich kann Ihre Logik nicht nachvollziehen, dass Sie in der Bundesversammlung aus parteitaktischen Gründen auf rot-rot-grüne Stimmen für das höchste Amt im Staate setzen, aber Rot-Rot-Grün für eine Koalition auf Bundesebene ausschließen.
SCHWAN: Weil der Zusammenhang konstruiert ist und Sie damit die Wahl des Staatsoberhaupts nur zum Vorboten der Bundestagswahl machen. Nochmals: Bei der Bundestagswahl wird es keine rot-rot-grüne Koalition, sondern eine schwarz-gelbe, eine große, eine Ampel- oder eine Jamaika-Koalition geben. Wobei ich die letzten beiden Varianten als die wahrscheinlichsten einschätze. Aber ich stehe für keines dieser Lager.
Frage: Das heißt, im Superwahljahr hat keine Wahl etwas mit der anderen zu tun?
SCHWAN: Ich habe das jetzt auf die Bundespräsidentenwahl bezogen. Der Bundespräsident oder die Bundespräsidentin wird von der Bundesversammlung gewählt, also ist alles denkbar. Sollte ich gewinnen, könnte es im Herbst trotzdem eine schwarz-gelbe Regierung geben. Und umgekehrt: Wenn Horst Köhler gewinnt, kann die nächste Regierung immer noch aus Rot-Gelb-Grün bestehen.
KOCH-MEHRIN: Das sehe ich anders. Sie argumentieren abstrakt. Die Realität ist anders: Schon Ihre Kandidatur ist ein Signal. Natürlich würde ich mich auch gerne von dem Gedanken befreien, dass die Europa- und Bundestagswahl voneinander abhängig sind. Tatsächlich wird es 2009, auch durch die Landtagswahlen, die in vielen Bundesländern stattfinden, einen permanenten Wahlkampf geben. Und man wird keine Wahl unabhängig von der anderen bewerten können.
Frage: Gerade in einem solchen Superwahljahr: Wäre es besser, den Bundespräsidenten von den Bürgern wählen zu lassen?
KOCH-MEHRIN: Absolut. Ich bin dafür, dass wir generell mehr direkte Elemente in einer Demokratie haben und daher fände ich es persönlich sehr gut, wenn auch der Bundespräsident, der die Bürger repräsentieren soll, von ihnen gewählt werden würde.
SCHWAN: Ich bin gegen die Direktwahl des Bundespräsidenten, weil wir dann einen großen Teil unserer Verfassung ändern müssten, um einem solchen direkt gewählten Präsidenten ? in Konkurrenz zum Bundeskanzler – mehr Kompetenzen zuzusprechen. Dies wäre dann ein Wechsel zum amerikanischen oder französischen Präsidialsystem. Außerdem würde es einen Wahlkampf bedeuten, den die Kandidaten mithilfe ihrer Parteien führen, wodurch der spätere Amtsinhaber viel von seiner parteipolitischen Unabhängigkeit einbüßt.
KOCH-MEHRIN: Auch heute werden Kandidaten ja schon von Parteien benannt ? und die Mitglieder der Bundesversammlungen werden ebenfalls von den Parteien nominiert, insofern halte ich einen direkt gewählten Bundespräsidenten sogar für noch unabhängiger. Und dafür müssen wir auch nicht zum präsidialen System wechseln.
Frage: Sie haben die Europawahl angesprochen. Seit Jahren sinkt dort die Wahlbeteiligung. Warum?
KOCH-MEHRIN: Es wird mehr und mehr auf europäischer Ebene entschieden oder auf den Weg gebracht, aber das wissen die wenigsten. Die EU darf nicht länger ignorieren, dass sich die Bürger eine Frage stellen, auf die es oft keine Antwort gibt: Wer in der EU eigentlich was entscheidet ? und wer dafür verantwortlich ist. Dabei trägt die EU einen entscheidenden Anteil zu Sicherheit und Wohlstand in Europa bei.
Frage: Ist die EU also undemokratisch?
KOCH-MEHRIN: Das Hauptproblem ist, dass einige Verfahren und Konstellationen auf europäischer Ebene nicht demokratischen Grundprinzipien entsprechen: Das Parlament wird aus nationalen Quoten gebildet und kann keine klaren Verantwortlichkeiten schaffen. Es gibt keine Regierungsmehrheit, stattdessen gibt es eine EU-Kommission, deren Mitglieder von den nationalen Regierungen gestellt werden und niemandem Rechenschaft schuldig sind ? also eine Behörde, die autark Gesetze auf den Weg bringen kann. Besser wäre auf EU-Ebene eine klare Gewaltenteilung und mehr direkte Einflussnahme der Bürger. So sollten grundlegende EU-Fragen auch in Deutschland durch Referenden entschieden werden.
SCHWAN: Ich bin generell auch für eine stärkere Beteiligung der Bürger ? zumal Bürgerbegehren ja auch eine gesellschaftliche Diskussion entfachen. Aber statt noch mehr Abstimmungen einzuführen, sollten wir mehr auf gesellschaftliches und politisches Engagement setzen.
Frage: Hört Frauensolidarität da auf, wo politische Wahlen anfangen?
SCHWAN: Ich würde nie eine Frau wählen, nur weil sie eine Frau ist, wenn ich politisch nicht mit ihr übereinstimme. Das erwarte ich auch nicht von anderen. Aber ich würde eine Frau wählen, wenn ich von ihr einen anderen Stil erwarte. Einen mehr nicht so konkurrierenden, sondern einen zusammenhaltenden Führungsstil ? und den finde ich häufiger bei Frauen.
KOCH-MEHRIN: Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun! Wenn zwei Leistungssportlerinnen beim 100-Meter-Lauf gegeneinander antreten und jede gewinnen will, zeigt das ja auch keine fehlende Frauensolidarität. Das ist die Konkurrenz im Job. Frauensolidarität zeigt sich am Rande des Wettbewerbs ? in der Fairness des Umgangs.
Frage: Und wie haben Sie den Umgang während des Gespräches empfunden?
SCHWAN: Menschlich habe ich einen sehr guten Eindruck. Und auf die inhaltlichen Dinge, die mich überrascht haben, kann ich mir einen parteipolitischen Reim machen.
KOCH-MEHRIN: Ich habe es als angenehmes, faires Gespräch erlebt. Es gab zu keinem Zeitpunkt eine Situation, in der wir uns persönlich angegriffen haben oder das Gespräch nicht mehr fortsetzen wollten.
SCHWAN: Auffällig war, dass wir uns nicht ins Wort gefallen sind, sondern zugehört haben und an dem Gesagten angeknüpft haben. Ich glaube, dass es mehr dem weiblichen Stil entspricht. Jedenfalls finde ich dies häufiger bei Frauen.
KOCH-MEHRIN: Dabei sind Ausredenlassen und Aufeinandereingehen doch ein Gebot der Höflichkeit. Und diesen Anspruch können wir auch an Männer formulieren.
SCHWAN: Absolut. Aber ob sie sich auch dran halten…
(Lachen)
URL: www.liberale.de
SILVANA KOCH-MEHRIN und GESINE SCHWAN im Doppelinterview für die ?Bunte?
Brüssel/Berlin. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE), Vorsitzende der FDP im Europaparlament und Spitzenkandidatin zur Europawahl, DR. SILVANA KOCH-MEHRIN, und die Präsidentschaftskandidatin der SPD, PROF. DR. GESINE SCHWAN, gaben der ?Bunten? (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte KERSTIN JÄCKEL:
Frage: Wir sitzen zu Fuße eines breitbeinigen Kaiser Wilhelm II. Kommt Ihnen so eine Machtpose bekannt vor?
SCHWAN: Ich glaube nicht, dass ein Mann heute noch so posieren würde, aber es gibt natürlich typisch männliche Körperhaltungen: breitbeinig, Brust raus, Hände in den Hosentaschen. Bei dieser Gockelpose habe ich allerdings eher den Eindruck, dass keine wirkliche innere Stärke dahinter steckt.
KOCH-MEHRIN: Tatsächlich gibt es Posen, die eher von Männern eingenommen werden ? ob im Stehen oder Sitzen. Die politischen Machtsymbole der Kaiserzeit gibt es heute zwar nicht mehr, aber eine schwere Uhr oder ein großes Auto gelten in der Männerwelt immer noch als Zeichen für: ?Ich bin der große Macher?.
SCHWAN: Männern liegt der Ausdruck ihrer Macht generell näher als Frauen. Bei ihnen spielen Machtinsignien keine Rolle.
KOCH-MEHRIN: Eine kleinere! Frauen achten untereinander nicht unbedingt darauf, wer das größere Auto oder schickere Telefon hat, aber ich glaube schon, dass sich Frauen auch in den ersten Minuten ?abchecken?. Darauf achten, ob sie möglicherweise auf eine Rivalin stoßen.
Frage: Haben Frauen die bessere Menschenkenntnis?
KOCH-MEHRIN: Das sollte man nicht verallgemeinern, das kommt auf die jeweilige Persönlichkeit an. Es gibt auch feinfühlige, sensible Männer ? und solche, die überhaupt keine soziale Kompetenz haben. Und genauso ist es bei Frauen.
SCHWAN: Das stimmt. Aber es gibt mehr Frauen mit sozialer Kompetenz als Männer.
KOCH-MEHRIN: Es ist eine Frage der Erziehung.
SCHWAN: Natürlich. Und Frauen werden mehr darauf erzogen, zwischenmenschliche Signale richtig zu deuten und mögliche Konflikte auszuräumen.
KOCH-MEHRIN: Das war sicher in der traditionellen Rollenaufteilung so, bei der die Frau für Kinder, das Heim und das Sozialleben verantwortlich war, aber darüber sind wir ja zum Glück hinaus. Als nächster Schritt sollte, auch gesellschaftlich, stärker akzeptiert werden, wenn Männer mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen und dafür auf einen Karriereschritt verzichten wollen. Männer sind immer noch gehemmt, so etwas zuzugeben. Da ist die Gleichberechtigung noch nicht erreicht.
SCHWAN: Ich hoffe, dass die jüngere Generation auf dem richtigen Weg ist. Mein großes Ziel wäre es, dass diese neuen Rollen- und Familienmuster auch in der Arbeitswelt berücksichtigt werden. Schön wäre es, wenn Männer und Frauen sich zuerst der Familie widmen könnten ? um dann später so richtig loszulegen.
KOCH-MEHRIN: Aber zunächst muss gesellschaftlich akzeptiert sein, wenn beide Elternteile berufstätig sind ? ob aus persönlicher Motivation oder aus finanziellen Gründen. Damit diesen Paaren nicht kollektiv auch noch ein schlechtes Gewissen eingeredet wird.
Frage: Wie ist das bei Ihnen privat?
KOCH-MEHRIN: Mein Mann James und ich kommen beide aus Familien, in denen es selbstverständlich war, dass alle zu Hause mithelfen. Daher war für uns Familie von Anfang an ein gemeinsames Projekt. Es ist auch gar nicht anders möglich. Interessant ist aber, dass ich immer wieder gefragt werde, wie ich Familie und drei Kinder unter einen Hut bekomme. James stellt man diese Frage nie.
SCHWAN: Ich war in dieser Hinsicht auch sehr verwöhnt. Mein erster Mann Alexander hat immer gewollt, dass auch ich berufstätig bin, obwohl das in seiner Generation, er war ja zwölf Jahre älter als ich, nicht selbstverständlich war. Er hat Frühstück für uns und die Kinder gemacht und Aufgaben übernommen, die ich ihm aufgetragen habe. So gesehen: Ich war verantwortlich und er hat geholfen.
Frage: Frau Koch-Mehrin, Sie haben das erste Mal für das Europaparlament kandidiert, als die FDP dort nicht vertreten war. Sie, Frau Schwan, haben für das Amt des Bundespräsidenten kandidiert, als numerisch keine Mehrheit für sie in Sicht war. Werden Frauen immer dann ins Rennen geschickt, wenn die Gefahr des Scheiterns besteht?
KOCH-MEHRIN: Meine Kandidatur 2004 war ein klares Signal dafür, dass wir als FDP keine ausgedienten Bundespolitiker nach Europa entsorgen. Ich war mit meiner Beratungsfirma in Brüssel schon aktiv und hatte die nötigen Fachkenntnisse. Das war für mich der ausschlaggebende Punkt, es als Europaabgeordnete zu versuchen.
SCHWAN: Ich denke schon, dass Frauen eher bereit sind, in aussichtlosen oder zumindest schwierigen Situationen zu kandidieren, das Risiko des Scheiterns einzugehen. Vielleicht weil sie mit Scheitern anders umgehen und sich nicht hauptsächlich durch ihren Erfolg definieren.
KOCH-MEHRIN: Das glaube ich nicht. Die wenigen Frauen, die es bisher in Führungspositionen geschafft haben, definieren sich genauso stark über den Beruf ? und erleben Scheitern demnach genauso brutal. Aber Kandidatinnen für das Amt des Bundespräsidenten gab es doch immer wieder. Zum ersten Mal 1979 mit Annemarie Renger.
SCHWAN: Aber tatsächlich waren das immer Kandidaturen, wo es quasi aussichtslos war, wie auch bei meiner Kandidatur 2004. So gesehen ist meine jetzige Kandidatur die erste Kandidatur einer Frau für das Amt des Bundespräsidenten, die erfolgreich sein kann. Es hat ja noch nie eine Bundespräsidenten-Wahl gegeben, bei der die abgegebenen Stimmen mit der Fraktionsstärke des Kandidaten identisch waren, es gab immer abweichende Voten. Schließlich ist es eine geheime Wahl, und die ist diesmal denkbar knapp.
KOCH-MEHRIN: Das sehe ich anders. Von der FDP werden Sie jedenfalls keine einzige Stimme bekommen. Sie setzen ja auch auf Rot-Rot-Grün, also die Stimmen von SPD, Grünen und der Linkspartei.
SCHWAN: Das stimmt nicht. Ich habe immer deutlich gemacht, dass ich meine Kandidatur als eine überparteiliche verstehe.
KOCH-MEHRIN: Aber Sie wollen doch von einem bestimmten Lager gewählt werden.
Frage: Sehen Sie die Gegenkandidatur von Frau Schwan grundsätzlich kritisch?
KOCH-MEHRIN: Ja. Es wäre eine andere Situation, wenn jemand seine Amtszeit beenden und die Bundesversammlung einen neuen Präsidenten wählen würde ? so wie vor fünf Jahren. Aber jetzt haben wir einen im In- und Ausland hoch angesehenen, in der Bevölkerung sehr beliebten und über Parteigrenzen hinweg anerkannten Bundespräsidenten, der eine zweite Amtszeit anstrebt. Und ich halte es nicht für notwendig und auch nicht für gut, den amtierenden Bundespräsidenten mit einer parteipolitischen Gegenkandidatur anzugreifen.
SCHWAN: Ich finde es höchst interessant, dass Sie eine Kandidatur in einer demokratischen Wahl als Angriff, fast als Majestätsbeleidigung bezeichnen. Ein Bundespräsident hat immer hohe Zustimmungsraten, er ist immer beliebt, das sagt also erst mal nicht viel aus.
Frage: Was wäre die Alternative zur Kandidatur von Frau Schwan gewesen?
KOCH-MEHRIN: Horst Köhler ist als Bundespräsident erfolgreich, deshalb wäre es sinnvoll, wenn auch die SPD ihn als Bundespräsident aller Deutschen unterstützt.
SCHWAN: Warum soll eine große Partei wie die SPD bei einer bevorstehenden Wahl nicht eine Alternative anbieten? Vor allem wenn sie überzeugendes Personal dafür hat?
Frage: Befürchten Sie einen bundespolitischen Effekt?
SCHWAN: Nein, wieso?
KOCH-MEHRIN: Weil Sie mit Ihrer Kandidatur zeigen, wie sehr die SPD auf ein rot-rot-grünes Bündnis setzt. Etwas, das die SPD auf Bundesebene bislang immer abgelehnt hat. Somit geht von der Bundespräsidentenwahl auch das Signal aus, ob die SPD in der Frage nach möglichen Koalitionspartnern glaubwürdig ist. Das sollte man nicht vergessen.
SCHWAN: Das kann man auch nicht vergessen, weil es von Union und FDP ja pausenlos vorgetragen wird. Aber ich wehre mich dagegen, die Bundespräsidentenwahl und die Bundestagswahl in einen Zusammenhang zu stellen. Das Amt des Bundespräsidenten hat einen eigenen Wert ? und auch die Wahl für dieses Amt sollte als eigenständiger Vorgang betrachtet werden ? nicht als parteitaktisches Instrument für die nächste Bundestagswahl.
KOCH-MEHRIN: Ich kann Ihre Logik nicht nachvollziehen, dass Sie in der Bundesversammlung aus parteitaktischen Gründen auf rot-rot-grüne Stimmen für das höchste Amt im Staate setzen, aber Rot-Rot-Grün für eine Koalition auf Bundesebene ausschließen.
SCHWAN: Weil der Zusammenhang konstruiert ist und Sie damit die Wahl des Staatsoberhaupts nur zum Vorboten der Bundestagswahl machen. Nochmals: Bei der Bundestagswahl wird es keine rot-rot-grüne Koalition, sondern eine schwarz-gelbe, eine große, eine Ampel- oder eine Jamaika-Koalition geben. Wobei ich die letzten beiden Varianten als die wahrscheinlichsten einschätze. Aber ich stehe für keines dieser Lager.
Frage: Das heißt, im Superwahljahr hat keine Wahl etwas mit der anderen zu tun?
SCHWAN: Ich habe das jetzt auf die Bundespräsidentenwahl bezogen. Der Bundespräsident oder die Bundespräsidentin wird von der Bundesversammlung gewählt, also ist alles denkbar. Sollte ich gewinnen, könnte es im Herbst trotzdem eine schwarz-gelbe Regierung geben. Und umgekehrt: Wenn Horst Köhler gewinnt, kann die nächste Regierung immer noch aus Rot-Gelb-Grün bestehen.
KOCH-MEHRIN: Das sehe ich anders. Sie argumentieren abstrakt. Die Realität ist anders: Schon Ihre Kandidatur ist ein Signal. Natürlich würde ich mich auch gerne von dem Gedanken befreien, dass die Europa- und Bundestagswahl voneinander abhängig sind. Tatsächlich wird es 2009, auch durch die Landtagswahlen, die in vielen Bundesländern stattfinden, einen permanenten Wahlkampf geben. Und man wird keine Wahl unabhängig von der anderen bewerten können.
Frage: Gerade in einem solchen Superwahljahr: Wäre es besser, den Bundespräsidenten von den Bürgern wählen zu lassen?
KOCH-MEHRIN: Absolut. Ich bin dafür, dass wir generell mehr direkte Elemente in einer Demokratie haben und daher fände ich es persönlich sehr gut, wenn auch der Bundespräsident, der die Bürger repräsentieren soll, von ihnen gewählt werden würde.
SCHWAN: Ich bin gegen die Direktwahl des Bundespräsidenten, weil wir dann einen großen Teil unserer Verfassung ändern müssten, um einem solchen direkt gewählten Präsidenten ? in Konkurrenz zum Bundeskanzler – mehr Kompetenzen zuzusprechen. Dies wäre dann ein Wechsel zum amerikanischen oder französischen Präsidialsystem. Außerdem würde es einen Wahlkampf bedeuten, den die Kandidaten mithilfe ihrer Parteien führen, wodurch der spätere Amtsinhaber viel von seiner parteipolitischen Unabhängigkeit einbüßt.
KOCH-MEHRIN: Auch heute werden Kandidaten ja schon von Parteien benannt ? und die Mitglieder der Bundesversammlungen werden ebenfalls von den Parteien nominiert, insofern halte ich einen direkt gewählten Bundespräsidenten sogar für noch unabhängiger. Und dafür müssen wir auch nicht zum präsidialen System wechseln.
Frage: Sie haben die Europawahl angesprochen. Seit Jahren sinkt dort die Wahlbeteiligung. Warum?
KOCH-MEHRIN: Es wird mehr und mehr auf europäischer Ebene entschieden oder auf den Weg gebracht, aber das wissen die wenigsten. Die EU darf nicht länger ignorieren, dass sich die Bürger eine Frage stellen, auf die es oft keine Antwort gibt: Wer in der EU eigentlich was entscheidet ? und wer dafür verantwortlich ist. Dabei trägt die EU einen entscheidenden Anteil zu Sicherheit und Wohlstand in Europa bei.
Frage: Ist die EU also undemokratisch?
KOCH-MEHRIN: Das Hauptproblem ist, dass einige Verfahren und Konstellationen auf europäischer Ebene nicht demokratischen Grundprinzipien entsprechen: Das Parlament wird aus nationalen Quoten gebildet und kann keine klaren Verantwortlichkeiten schaffen. Es gibt keine Regierungsmehrheit, stattdessen gibt es eine EU-Kommission, deren Mitglieder von den nationalen Regierungen gestellt werden und niemandem Rechenschaft schuldig sind ? also eine Behörde, die autark Gesetze auf den Weg bringen kann. Besser wäre auf EU-Ebene eine klare Gewaltenteilung und mehr direkte Einflussnahme der Bürger. So sollten grundlegende EU-Fragen auch in Deutschland durch Referenden entschieden werden.
SCHWAN: Ich bin generell auch für eine stärkere Beteiligung der Bürger ? zumal Bürgerbegehren ja auch eine gesellschaftliche Diskussion entfachen. Aber statt noch mehr Abstimmungen einzuführen, sollten wir mehr auf gesellschaftliches und politisches Engagement setzen.
Frage: Hört Frauensolidarität da auf, wo politische Wahlen anfangen?
SCHWAN: Ich würde nie eine Frau wählen, nur weil sie eine Frau ist, wenn ich politisch nicht mit ihr übereinstimme. Das erwarte ich auch nicht von anderen. Aber ich würde eine Frau wählen, wenn ich von ihr einen anderen Stil erwarte. Einen mehr nicht so konkurrierenden, sondern einen zusammenhaltenden Führungsstil ? und den finde ich häufiger bei Frauen.
KOCH-MEHRIN: Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun! Wenn zwei Leistungssportlerinnen beim 100-Meter-Lauf gegeneinander antreten und jede gewinnen will, zeigt das ja auch keine fehlende Frauensolidarität. Das ist die Konkurrenz im Job. Frauensolidarität zeigt sich am Rande des Wettbewerbs ? in der Fairness des Umgangs.
Frage: Und wie haben Sie den Umgang während des Gespräches empfunden?
SCHWAN: Menschlich habe ich einen sehr guten Eindruck. Und auf die inhaltlichen Dinge, die mich überrascht haben, kann ich mir einen parteipolitischen Reim machen.
KOCH-MEHRIN: Ich habe es als angenehmes, faires Gespräch erlebt. Es gab zu keinem Zeitpunkt eine Situation, in der wir uns persönlich angegriffen haben oder das Gespräch nicht mehr fortsetzen wollten.
SCHWAN: Auffällig war, dass wir uns nicht ins Wort gefallen sind, sondern zugehört haben und an dem Gesagten angeknüpft haben. Ich glaube, dass es mehr dem weiblichen Stil entspricht. Jedenfalls finde ich dies häufiger bei Frauen.
KOCH-MEHRIN: Dabei sind Ausredenlassen und Aufeinandereingehen doch ein Gebot der Höflichkeit. Und diesen Anspruch können wir auch an Männer formulieren.
SCHWAN: Absolut. Aber ob sie sich auch dran halten…
(Lachen)
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