KOCH-MEHRIN-Interview für die „Rheinische Post“
KOCH-MEHRIN-Interview für die „Rheinische Post“
Brüssel/Berlin. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE), Vorsitzende der FDP im Europaparlament und Spitzenkandidatin zur Europawahl, DR. SILVANA KOCH-MEHRIN, gab der „Rheinischen Post“ (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte ANJA INGENRIETH:
Frage: Was erwarten Sie vom Gipfel zum 60. Geburtstag der Nato?
KOCH-MEHRIN: Das Treffen muss mehr als eine gigantische Geburtstags-Party sein. Es bietet nach den US-Alleingängen der Bush-Ära die Chance auf einen transatlantischen Neuanfang. Dieser Schwung sollte genutzt werden, um die momentane Selbstbeschäftigung der Nato zu beenden und neue Gemeinsamkeit über deren zukünftige Ausrichtung herzustellen. Neue Herausforderungen brauchen neue strategische Konzepte.
Frage: Die USA wollen der Nato neuen Schwung geben, Frankreich drängt in die erste Reihe. Gerät Deutschland ins Hintertreffen?
KOCH-MEHRIN: Das Problem ist nicht zu viel Frankreich, sondern zu wenig Deutschland. Deutschland droht dann ein Bedeutungsverlust in der Nato, wenn sich die Bundeskanzlerin nicht stärker einbringt – etwa mit einer Betonung des Themas Abrüstung im neuen strategischen Konzept. Angela Merkel darf es nicht anderen überlassen, die zukünftige Richtung der Allianz zu bestimmen. In der Wirtschafts- und Finanzkrise hat sie sich mit ihrer Zurückhaltung international den Ruf der Madame „Non“ erworben und sehr spät eigene Akzente gesetzt. Es wäre fatal, wenn sie diesen Fehler wiederholt.
Frage: Muss die Nato bei der Osterweiterung auf die Bremse treten, um Moskau nicht zu vergrätzen?
KOCH-MEHRIN: Ein stärkerer Austausch mit Russland ist unumgänglich, damit sich Krisen wie der Georgien-Krieg nicht wiederholen. Klar ist auch: Die Allianz sollte nur solche Länder aufnehmen, deren Beitritt die Stabilität erhöht und denen sie im Bündnisfall glaubwürdig Sicherheit garantieren kann und will. Das hängt zuerst davon ab, wie stabil die Demokratie und der Rechtstaat in den Ländern sind, und nicht von dem
Verhältnis zu Russland. Ein Beitritt von Georgien und der Ukraine kann deshalb nicht heute oder morgen auf der Tagesordnung stehen.
Frage: Themenwechsel zur EU: Prags Regierung stürzt mitten in der Ratspräsidentschaft. Droht Europa eine Führungskrise?
KOCH-MEHRIN: Nein. Premier Mirek Topolanek führt den EU-Vorsitz bis Ende Juni weiter, wenn auch geschwächt. Die Krise zeigt aber, dass Europa den Reform-Vertrag von Lissabon braucht. Denn dieser ersetzt den jetzt halbjährlich wechselnden Ratsvorsitz durch einen ständigen Präsidenten an der EU-Spitze.
Frage: Der Reformvertrag droht aber im tschechischen Senat zu scheitern. Zerfällt dann die EU?
KOCH-MEHRIN: Nein. Auch jetzt schon gibt es das Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten, denn nicht alle EU-Staaten haben den Euro oder sind Mitglieder im grenzkontrollfreien Schengen-Raum. Diese Entwicklung würde sich verstärken. Das ist aber nicht das Ende der EU. Die Lehre aus dem Gezerre um den Reformvertrag muss lauten: Europa darf sich nicht länger an seinen Bürgern vorbei entwickeln. Deshalb sollten grundsätzliche europäische Fragen wie neue Verträge oder neue Beitritte auch in Deutschland zur Volksabstimmung gestellt werden.
KOCH-MEHRIN-Interview für die „Rheinische Post“
Brüssel/Berlin. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE), Vorsitzende der FDP im Europaparlament und Spitzenkandidatin zur Europawahl, DR. SILVANA KOCH-MEHRIN, gab der „Rheinischen Post“ (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte ANJA INGENRIETH:
Frage: Was erwarten Sie vom Gipfel zum 60. Geburtstag der Nato?
KOCH-MEHRIN: Das Treffen muss mehr als eine gigantische Geburtstags-Party sein. Es bietet nach den US-Alleingängen der Bush-Ära die Chance auf einen transatlantischen Neuanfang. Dieser Schwung sollte genutzt werden, um die momentane Selbstbeschäftigung der Nato zu beenden und neue Gemeinsamkeit über deren zukünftige Ausrichtung herzustellen. Neue Herausforderungen brauchen neue strategische Konzepte.
Frage: Die USA wollen der Nato neuen Schwung geben, Frankreich drängt in die erste Reihe. Gerät Deutschland ins Hintertreffen?
KOCH-MEHRIN: Das Problem ist nicht zu viel Frankreich, sondern zu wenig Deutschland. Deutschland droht dann ein Bedeutungsverlust in der Nato, wenn sich die Bundeskanzlerin nicht stärker einbringt – etwa mit einer Betonung des Themas Abrüstung im neuen strategischen Konzept. Angela Merkel darf es nicht anderen überlassen, die zukünftige Richtung der Allianz zu bestimmen. In der Wirtschafts- und Finanzkrise hat sie sich mit ihrer Zurückhaltung international den Ruf der Madame „Non“ erworben und sehr spät eigene Akzente gesetzt. Es wäre fatal, wenn sie diesen Fehler wiederholt.
Frage: Muss die Nato bei der Osterweiterung auf die Bremse treten, um Moskau nicht zu vergrätzen?
KOCH-MEHRIN: Ein stärkerer Austausch mit Russland ist unumgänglich, damit sich Krisen wie der Georgien-Krieg nicht wiederholen. Klar ist auch: Die Allianz sollte nur solche Länder aufnehmen, deren Beitritt die Stabilität erhöht und denen sie im Bündnisfall glaubwürdig Sicherheit garantieren kann und will. Das hängt zuerst davon ab, wie stabil die Demokratie und der Rechtstaat in den Ländern sind, und nicht von dem
Verhältnis zu Russland. Ein Beitritt von Georgien und der Ukraine kann deshalb nicht heute oder morgen auf der Tagesordnung stehen.
Frage: Themenwechsel zur EU: Prags Regierung stürzt mitten in der Ratspräsidentschaft. Droht Europa eine Führungskrise?
KOCH-MEHRIN: Nein. Premier Mirek Topolanek führt den EU-Vorsitz bis Ende Juni weiter, wenn auch geschwächt. Die Krise zeigt aber, dass Europa den Reform-Vertrag von Lissabon braucht. Denn dieser ersetzt den jetzt halbjährlich wechselnden Ratsvorsitz durch einen ständigen Präsidenten an der EU-Spitze.
Frage: Der Reformvertrag droht aber im tschechischen Senat zu scheitern. Zerfällt dann die EU?
KOCH-MEHRIN: Nein. Auch jetzt schon gibt es das Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten, denn nicht alle EU-Staaten haben den Euro oder sind Mitglieder im grenzkontrollfreien Schengen-Raum. Diese Entwicklung würde sich verstärken. Das ist aber nicht das Ende der EU. Die Lehre aus dem Gezerre um den Reformvertrag muss lauten: Europa darf sich nicht länger an seinen Bürgern vorbei entwickeln. Deshalb sollten grundsätzliche europäische Fragen wie neue Verträge oder neue Beitritte auch in Deutschland zur Volksabstimmung gestellt werden.